„Wheelie“ führt zur Haftung
Das OLG Hamm hat mit seinem Urteil vom 9.11.2022 (Az. 11 U 38/22) entschieden, ein „Wheelie führt zur Haftung bei einer Vorfahrtsverletzung.
Demnach trifft den Motorradfahrer eine höhere Haftung, da sein Fahrzeug aufgrund des bei Dunkelheit durchgeführten Tricks für den Fahrer des wartepflichtigen Pkw schlecht zu erkennen war.
I. Sachverhalt
Im vorliegenden Fall fuhr der Beklagte mit seinem Motorrad bei Dunkelheit auf einer Vorfahrt-straße. Dabei fuhr er einen sogenannten „Wheelie“: Er beschleunigte also so stark, dass das Vorderrad des Motorrads abhob und fuhr somit nur noch auf dem Hinterrad. Der Kläger wollte mit seinem Pkw aus einer wartepflichtigen Straße in die Vorfahrtsstraße abbiegen. Beim Abbiegevorgang kollidierte er mit dem Motorradfahrer.
In erster Instanz ging der Kläger zunächst leer aus.
II. Urteilsgründe
Mit seiner Berufung hatte er jedenfalls insoweit Erfolg, dass das OLG Hamm die Haftungsvertei-lung auf 50:50 festlegte. Denn nach Ansicht des Gerichts ist beiden Verkehrsteilnehmern ein gleichermaßen schwerwiegender Verkehrsverstoß vorzuwerfen.
1. Verstoß gegen Beleuchtungsvorschriften des Motorradfahrers
Der Verkehrsunfall stellte für den Motorradfahrer kein unabwendbares Ereignis dar. Vielmehr ist ihm ein schuldhafter und für den Verkehrsunfall mitursächlich gewordener Verstoß gegen die Verkehrsvorschrift des § 17 Abs. 1 und 2a StVO anzulasten. Danach sind bei Dunkelheit die vorgeschriebenen Beleuchtungseinrichtungen zu benutzen, welche weder verdeckt noch verschmutzt sein dürfen. Dies gilt für das Führen von Krafträdern auch am Tag. Hiergegen hat der Motorradfahrer verstoßen, da wegen des unmittelbar vor dem Unfallgeschehen durchgeführten „Wheelies“ die Wahrnehmbarkeit des an seinem Kraftrad eingeschalteten Abblendlichts für die anderen Verkehrsteilnehmer deutlich herabgesetzt war. Daher die Quintessenz: „Wheelie“ führt zur Haftung.
Der hinzugezogene Sachverständige erläuterte, dass bei der Durchführung eines „Wheelies“ das Fahrzeug vorne mit einem Winkel von ca. 45° in die Höhe ragt, so dass das Abblendlicht nicht auf die Fahrbahn fällt. Die Erkennbarkeit des Abblendlichts werde für andere Verkehrsteilnehmer weiter dadurch erschwert, dass das für sie noch zu erkennende Streulicht des Scheinwerfers teilweise durch das Schutzblech des Vorderrads verdeckt werde. Im Ergebnis werde daher das Abblendlicht des Kraftrades nicht wie bei normaler Fahrweise im Dunkeln für andere Verkehrsteilnehmer deutlich als heller Lichtpunkt wahrgenommen, sondern nur noch bei genauem Hinsehen zu erkennen sein, wodurch die optische Wahrnehmbarkeit des Kraftrades deutlich herabgesetzt werde.
Trotzdem wäre das Motorrad nach Ansicht des Sachverständigen bei genauer Beobachtung der Vorfahrtstraße aufgrund der Straßenbeleuchtung und des Streulichts des Frontscheinwerfers und Rücklichtes des Motorrads noch erkennbar gewesen.
2. Vorfahrtsverletzung des Pkw-Fahrers
Auch für den Pkw-Fahrer stellte der Verkehrsunfall kein unabwendbares Ereignis dar. Er hat gegen § 8 Abs. 2 S. 2 StVO verstoßen, wonach der Wartepflichtige nur weiterfahren darf, wenn er überblicken kann, dass kein Vorfahrtsberechtigter gefährdet oder wesentlich behindert wird.
3. Abwägung der Verursachungsbeiträge
Beiden Verkehrsbeteiligten ist neben der den Fahrzeugen anhaftenden Betriebsgefahr ein Verkehrsverstoß anzulasten. Das Gericht gab der Vorinstanz recht, dass in einer schuldhaften Vor-fahrtsverletzung regelmäßig ein schwerwiegender Verkehrsverstoß zu sehen sei, der oftmals zur überwiegenden oder gar zur Alleinhaftung des Wartepflichtigen führe. Dennoch gehört auch die ordnungsgemäße Beleuchtung von Kfz nach der Rechtsprechung des BGH zu den wesentlichen Pflichten der dafür verantwortlichen Verkehrsteilnehmer. Vielfach werde auch bei einem Verstoß gegen die Beleuchtungsvorschriften eine alleinige oder überwiegende Haftung, des dagegen verstoßenden Verkehrsteilnehmers angenommen.
Beide Verstöße wiegen vorliegend annähernd gleich schwer, weshalb das Gericht eine beiderseitige Haftungsverteilung von 50% als sachgerecht und angemessen ansah.
Leitsatz des OLG: „Kollidiert der Fahrer eines auf der bevorrechtigten Straße fahrenden Motorrades, dessen Fahrzeug aufgrund eines bei Dunkelheit durchgeführten Wheelies für den Fahrer eines wartepflichten Pkw schlecht zu erkennen ist, mit dem einbiegenden wartepflichtigen Pkw, kann eine hälftige Quote zur Regulierung der bei dem Unfall entstandenen Schäden angemessen sein.“
III. Bedeutung für die Praxis
Es handelt sich – soweit erkennbar – um die erste obergerichtliche Entscheidung im Bereich des Haftungsrechts zum „Wheelie“. Häufig führen solche Fahrzeugmanöver zu rechtlichen Proble-men im Bereich des Haftungs-, Versicherungs-, Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts. Die Ent-scheidung zeigt, dass das Manöver sehr wohl haftungsrechtliche Relevanz haben kann. Sie zeigt aber auch, dass die Umstände des Einzelfalls (hier: Dunkelheit) daneben zu berücksichtigen sind. Die weitere Rechtsprechung zur Thematik bleibt abzuwarten.
Erfolgsaussichten
Diese hängen vom Einzelfall ab. Wenden Sie sich bitte direkt an uns und lassen keine Zeit verstreichen, nur dann können wir für Sie die Erfolgsaussichten prüfen.
Damit haben wir Ihnen die wichtigsten Fakten aufbereitet bei der Thematik „Wheelie“ führt zur Haftung.
Auch wenn Sie über keine Rechtsschutzversicherung verfügen, sollten Sie dennoch abklären, welche Möglichkeiten der Verteidigung bestehen.
0221 252123
michelske@michelske.de
Ihr
Marc Michelske
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verkehrsrecht
ADAC Vertragsanwalt
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